verbunden&frei – Reisevorbereitungen

Als ich im Juli 2018 die Alpen vom Schweizer Süden bis Peißenberg in Deutschland überquerte (als Probewanderung), fühlte ich mich in der Natur zutiefst verbunden und gleichzeitig vollkommen frei.

Plötzlich schien mir nichts in dieser Welt mehr bedrohlich, selbst in tiefster Finsternis, spürte ich Strahlen von Wärme und wusste, ich werde die nächsten Jahre gen Osten wandern. Hin zum Licht.

Ohne das begründen zu können oder zu wollen, empfinde ich tief in meinem Herzen das Wirken der großen Mutter in der aktuellen Zeit am stärksten in den unendlichen Weiten Sibiriens. Dorthin mache ich mich gerade auf – zu Fuß.

Diese vollkommene Verbundenheit, als ich die Alpen überquerte, dieses Gefühl war von einer Intensität, die ich seither in der Stadt, in Augsburg, nur äußerst selten wiederfinde.
Diese tiefe Verbundenheit, dieses Mich-Zu-Hause-Fühlen, diese unwiderrufliche Geborgenheit, die ich erleben durfte, war, wie wenn das große Geheimnis, wie wenn Gott mich anstupst, mich ruft.

Ich war fast immer im Freien, ich hab draußen geschlafen (ohne Zelt), ich zog meinen Poncho an, wenn es regnete, ich aß, wenn ich hungrig war, ich schlief, wenn ich müde war.
Ich war außerhalb von Zeit und Raum, hatte keine Ziele…

Mein tiefes Gefühl der „Verbundenheit in Freiheit“ während meiner Alpenüberquerung verblasste zuletzt immer mehr.
Ich konnte mich zwar noch gut daran erinnern (kognitiv: da war was), aber nicht mehr hinspüren. Es hatte ca. sechs Wochen angehalten…

Das wirkte sich zunehmend negativ auf meine Entscheidungsfähigkeit im Alltag aus und … Entscheidungen gibt es aktuell wirklich genug zu treffen:

  • meine Ausrüstung
  • Finanzen und Versicherungen
  • Visafragen
  • was mache ich mit meiner Wohnung?
  • wohin mit meinen Sachen
  • … bis zur vielleicht noch notwendigen Zahnkrone…

Mein Wunsch, möglichst bald aufzubrechen, rückte in immer weitere Ferne.
Ich sehnte mich nach einer Heldentat, um mir selbst ein Zeichen in Richtung Aufbruch zu geben.

So vermietete ich zum 1.9.18 mein Schlafzimmer an Ahmet, einen jungen Elektriker aus Ulm. Er arbeitet nahe von Augsburg.
Seitdem lebe ich zusammen mit ihm, bzw. er mit mir – denn er wird nach meiner Abreise die Wohnung übernehmen.

Letzten Mittwoch, am 12.9.18, war der große Tag: ich besuchte das Russische Generalkonsulat in München.
Veronika aus Moskau begleitete mich als Übersetzerin. Wir lernten zusammen Russisch und Deutsch.
Ich hatte einen Termin für „anspruchsvolle Dokumente“ gebucht – damit waren aber Beglaubigungen gemeint…
Ohne den Charme von Veronika wäre ich gar nicht am Security-Mitarbeiter vorbeigekommen.

Es war ein typisches russisches Amt, meinte Veronika:
ungefähr zehn Schalter, alle hinter Glas, Verständigung über Mikrofon und Lautsprecher, überall Menschengruppen, Durchsagen per Lautsprecher …
… in mir mehr Angst als russische Wörter!

Wir durften mit dem Vizekonsul sprechen, ein freundlicher und verbindlicher ruhiger Mann, der sich Zeit für uns nahm.
Er sah allerdings keinerlei Chance, meine geplante Wanderung mit den russischen Einreisebestimmungen in Einklang zu bringen.

Für diese – nicht ganz unerwartete – Entscheidung (europäische Behörden haben ähnliche Bestimmungen und  hätten wohl einem Russen gegenüber mit ähnlichem Vorhaben in Europa keineswegs anders reagiert) hatte ich mir einen Plan B, eine Ersatzroute, entwickelt.

Diese Ersatzroute mit einem Winter in Südfrankreich als Einstieg klang so verlockend, dass ich nach dem Gespräch mit dem Vizekonsul dachte, dann halt nicht nach Osten, sondern erst mal in den europäischen Westen.
Ist doch auch sicherer? näher? einfacher …

Aber irgendwas stimmte nicht, es fühlte sich nicht richtig an mit dem wilden Westen und Frankreich und England und Irland und Schottland und Norwegen und dem Nordkap und Finnland …
ich fing an, tausend und eine neue Route zu ersinnen …
und sehnte mich doch in meinem tiefsten Inneren nach der Weite Sibiriens und der „russischen Seele“.
Als ich mir das zugestand, ward mir warm ums Herz.
Ich glaube, ich habe mich verliebt … in ein Land! In ein großes weites und wildes Land, um das ich kämpfen will.

Zum Abschluss unseres Gesprächs hatte mir der Vizekonsul noch einen Rat gegeben: wenn ich mich so lange in Russland aufhalten will, sollte ich wesentlich besser Russisch sprechen.
Jetzt beginne ich zu verstehen: mein Schlüssel zu Russland könnte die Sprache sein.

Und diesen Schlüssel kann ich nicht gemütlich während des Wanderns im Land selbst erwerben, sondern ich brauche ihn vorher.
Somit ergibt sich eine Zwischenstation: ein Sprachkursaufenthalt im Baltikum.

Das heißt, wenn es mir im nahenden Winter zu kalt zum Wandern werden sollte, suche ich mir schon unterwegs eine Sprachschule und eine Gastfamilie und lerne dort Russisch.
Spätestens aber in Lettland, vielleicht in Daugavpils (Dünaburg), eine Stadt mit russischem Konsulat kurz vor der lettisch-russischen Grenze.

Heute, am 26.10.2018 wurde mir überraschend – fünf Tage zu früh – Telefon und Internet abgeschaltet.
Nach dem üblichen inneren Grummeln, mehrfachen Router ausschalten, Stecker ziehen und wieder einstecken usw. beschloss ich zu meiner eigenen Überraschung, mich nicht zu ärgern.

Kurioserweise  steigerte diese „Panne“ meine Laune sogar erheblich:
„so wird es sein, wenn ich unterwegs bin“, dachte ich, da ich ohne mobile Daten reisen werde.
Also fühlte ich mich meiner Abreise einen Schritt näher … und irgendwie freier!

Apropos Abreise: es verzögert sich etwas.
All meine Sorgen, Gewohnheiten, Befürchtungen, Verstrickungen und Komfortbedürfnisse machen grad eine Art Familientreffen bei mir.
Sehr unterhaltsam … süßlich, klebrig und zeitintensiv …

Vorhin las ich in meinem kleinen Notizbüchlein: „Mut ist Angst, die gebetet hat“ – ich bin mir nicht sicher, ob ich das irgendwo aufgeschnappt habe oder ob es von mir selbst sein könnte.
Es ist natürlich nicht von mir selbst, nichts ist von mir (außer meinem immensen Stolz, der mich immer wieder von der Glückseligkeit abtrennt), sondern ich war höchstens eine Art Antenne, die es empfangen hat.

Wenn alles so klappt, wie geplant, ist das mein letzter Eintrag von meinem (bald ehemaligen) Zuhause.
Hochladen kann ich es ja schon nicht mehr von hier … (der Komfort sinkt!)
Am 5.11.2018 soll es abends mit dem Fernbus über Wien und Warschau nach Vilnius gehen.
Von dort aus zu Fuß weiter nach Daugavpils, Lettland zum Russisch lernen.

 

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